Es ist immer schwierig über Kapitalmärkte zu schreiben, wenn Menschen, wie jetzt in der Ukraine, leiden. Entschuldigen Sie also meine Rationalität angesichts der jüngsten Ereignisse. Kapitalmärkte sind rational, preisen Erwartungen ein und Unsicherheit wird mit Kursabschlägen quotiert.
Was man in den letzten Wochen gesehen hat folgt genau diesem Muster. Nach dem Einmarsch der russischen Armee in die Ukraine kam es zu starken Kursverlusten, insbesondere an den europäischen Aktienmärkten. Hier spiegelte sich die hohe Unsicherheit wider. Nun, da es relativ sicher zu sein scheint, dass der Krieg auf die Ukraine begrenzt bleibt, wird ein großer Teil dieser Unsicherheit wieder aus den Kursen ausgepresst, was in den letzten Tagen zu einem starken Kursanstieg an den Weltaktienmärkten geführt hat. Nun drängt sich natürlich die Frage auf, ob der Kursanstieg unvermindert weitergeht und man bald wieder neue Höchststände an den Aktienmärkten erwarten kann. Also eine V-förmige Erholung, wie man sie nach den letzten beiden großen Ereignissen (Finanz- und Schuldenkrise, Corona) beobachten konnte.
Aus meiner Sicht ist diese Erwartung zu optimistisch. Die wirtschaftspolitischen Folgen des Krieges in der Ukraine und der darauf folgenden Sanktionen für Russland treffen auf eine Corona geschwächte Weltwirtschaft – und Corona selbst ist auch noch nicht vorbei. Die Folge ist ein weiterer Anstieg der sowieso schon erhöhten Inflation. Die Staaten versuchen zwar, die negativen wirtschaftlichen Folgen der sinkenden Realeinkommen zu mindern, aber dies wird nur teilweise gelingen. Zu groß und breit ist der Inflationsanstieg.
Die hohe Inflation blockiert die wichtigsten wirtschaftspolitischen Institutionen der letzten Jahre, die Notenbanken. Die Notenbanken können nicht wie bei den letzten beiden großen Krisen mit einem Feuerwerk an zinspolitischen Maßnahmen reagieren und die Märkte und Volkswirtschaften mit billigem Geld fluten. Stattdessen müssen die Notenbanken – um ihre Glaubwürdigkeit zu bewahren – die zinspolitischen Zügel anziehen. Damit fällt ein wichtiger Faktor für eine anhaltende Erholung an den Finanzmärkten aus.
Aber auch realwirtschaftlich spricht viel für einen durchwachsenen Ausblick. Zum einem ist die Verschuldung schon sehr hoch und ein weiterer Anstieg der Verschuldung wird bei steigenden Zinsen schwieriger. Damit werden also auch staatliche Wirtschaftsimpulse schwächer oder ganz ausfallen. Die hohe Inflation und die steigenden Zinsen werden die Margen der Unternehmen zudem unter Druck setzen und die hohen Bewertungen in Frage stellen. Beides ist in den aktuellen Kursen nicht beinhaltet. Außerdem sinken die realverfügbaren Einkommen der privaten Haushalte, was die Nachfrage dämpfen sollte.
Mittelfristig wird die Frage entscheidend sein, wie es mit der arbeitsteiligen Wirtschaft auf einem globalen Niveau weitergeht – der Globalisierung. Eigentlich kann niemand ein Interesse daran haben, dass die Globalisierung zurückgebaut wird, da dies spürbare Wohlstandsverluste mit sich bringen würde. Aber die geopolitische Situation hat sich deutlich verändert und es ist kaum anzunehmen, dass wir in ein paar Wochen wieder zum gewohnten Alltag zurückfinden. Damit wird die wirtschaftspolitische Unsicherheit weiterhin sehr hoch bleiben.
Selbst wenn es in den kommenden Wochen zu einem Waffenstillstand in der Ukraine kommt, was weiterhin meine Erwartung ist, wird die Belastung für die Weltwirtschaft und die Kapitalmärkte weiter hoch bleiben. Europa sollte hier weiterhin im Mittelpunkt stehen. Daher rechne ich zurzeit nicht mit einer erneuten V-förmigen Erholung der Aktienmärkte. Vielmehr dürfte es nach der aktuellen Erholung zu einer gewissen Ernüchterung kommen.
Kommentare
Hinterlassen Sie eine Antwort
Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.