Autokratie in der EU?

Die Demokratie in der EU steht unter Druck. Im September sprach das EU-Parlament Ungarn den Status einer echten Demokratie ab. Welche Folgen hat das für Ungarn innerhalb der EU? Und welche Handlungsoptionen hat die EU überhaupt gegen autokratische Tendenzen in den eigenen Reihen?

Im September sprach das EU-Parlament Ungarn den Status einer echten Demokratie ab. »Unter Sachverständigen« herrsche zunehmend Einigkeit darüber, »dass Ungarn keine Demokratie mehr ist«, hieß es in einer von der Volksvertretung verabschiedeten Entschließung, die die Abgeordneten mit 433 zu 123 Stimmen annahmen.

Ungarn hat in den letzten Jahren systematisch demokratische Grundsätze der EU ausgehöhlt. Die EU kritisiert das Land wegen Verstößen gegen die Rechtsstaatlichkeit, wegen Vetternwirtschaft, Korruption, Gleichschaltung der Medien und Ausschaltung der Opposition. Viktor Orbán nennt sein System zwar „illiberale Demokratie“, zeigt aber seit Jahren deutliche autokratische Machtansprüche.

Auch Polen missachtet seit Jahren die Prinzipien der EU – aber bleiben wir hier bei Ungarn.

Fliegt Ungarn jetzt raus?

Offiziell sind nur Demokratien in der EU versammelt. Und nun? Fliegt Ungarn jetzt raus? Nein, so einfach geht das nicht! Der Grund ist simpel: Die EU hat die Möglichkeit eines Rauswurfs einfach nie vorgesehen. Verträge kann man zwar ändern, das erfordert in der EU aber eine Einstimmigkeit. In diesem Fall wird die kaum zu erreichen sein.

Artikel-7-Verfahren scheitert an nötiger Einstimmigkeit

Was prinzipiell gehen könnte, wäre die Aussetzung von Ungarns Stimmrechten wegen der Rechtsstaatsverstöße – das sogenannte Artikel-7-Verfahren. Doch auch bei der Feststellung eines solchen Verstoßes gilt die Einstimmigkeit unter den EU-Staats- und Regierungschefs. Der betreffende Staat nimmt an dieser Abstimmung natürlich nicht teil.

Vor einigen Jahren wurde gegen Budapest ein solches Verfahren eingeleitet, da Orbán die Demokratie in seinem Land immer weiter demontierte. Gescheitert war das Verfahren allerdings daran, dass Polen den Entzug von Ungarns Stimmrecht mit seinem Veto blockiert hat.

Rechtsstaatsmechanismus als finanzielles Druckmittel

Als neues Druckmittel hat die EU 2021 den Rechtsstaatsmechanismus eingeführt. Mit diesem Instrument kann die EU-Kommission einem Mitgliedsland Fördergelder kürzen, wenn dessen Rechtssystem nicht in der Lage ist zu verhindern, dass EU-Gelder durch Betrug oder Korruption veruntreut oder verschwendet werden.

Der Rechtsstaatsmechanismus zielt also ausschließlich auf die missbräuchliche Verwendung von EU‑Geldern ab. Er ist kein Instrument, mit dem die Europäische Union Mitgliedstaaten sanktionieren kann, die gegen ihre Grundwerte verstoßen.

Im April 2022 entschied die Kommission schließlich, den Rechtsstaatsmechanismus im Fall Ungarn in Gang zu setzen. Jetzt droht Ungarn ein Verlust an Fördermitteln in Höhe von 7,5 Milliarden Euro bis 2027. Das ist nur etwa ein Drittel der für Ungarn vorgesehenen Fördermittel für strukturelle Investitionen. Bis November hat das Land noch Zeit für Verbesserungen seiner Rechtsstaatlichkeit. Dann sollen die EU-Mitgliedstaaten entscheiden, diesmal nicht einstimmig, sondern mit qualifizierter Mehrheit. Das heißt: 55 Prozent der Mitgliedstaaten müssen zustimmen, die zusammen mindestens 65 Prozent der Gesamtbevölkerung der EU ausmachen.

Autokratien auf dem Vormarsch

Laut dem unabhängigen Forschungsinstitut Varieties of Democracy (V-Dem) ist in 6 der 27 EU-Staaten eine Autokratisierung zu beobachten. Neben Ungarn sind Polen, Slowenien, Kroatien, Tschechien und Griechenland betroffen.

Die Demokratie in der EU steht also unter Druck – das wird wohl nur über strukturelle Veränderungen lösbar sein.

Quellen:

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